Bevor ich mit meinem Anliegen näher an Dich heran trete, möchte ich mich kurz bei Dir vorstellen. Da du ja ein zuweilen intelligenter junger Mann bist, hast du sicher schon von mir gehört, auch wenn du mich wohl noch nie mit eigenen Augen erblickt hast. In den letzten Jahren wird sich wohl auch immer mehr mein amerikanischer Nebenbuhler, der omnipräsente Weihnachtsmann, in deinen Hirnwindungen breit gemacht haben, aber auch ich betreibe ja zuweilen ein wenig Marketing. Wenn ich zu Beginn Deine Intelligenz nicht zu früh gelobt habe, wirst du nun wohl schon wissen, wer dir diese unerwarteten Zeilen schreibt: Genau, lieber Mr. Green, ich bin's, das Christkind, lockiges Haar, weiße Roben, nicht gerade trendy aber obviously compulsory.
Warum ich Dir nun schreibe? Nun, du hast Lob, aber auch Tadel verdient, mein junger Mann. Zu Beginn möchte ich Dich natürlich loben, weiß ich doch um Deine zarte Seele und dein Ego, das sich gar zu oft nach Streicheleinheiten sehnt und Kritik so gar nicht gerne hat. In der jüngeren Vergangenheit hast du es geschafft, dein altes Talent des Schreibens wieder für dich zu entdecken und mit dei
nen amüsanten, wenn auch nicht ausgereiften Anekdoten eine inzwischen beträchtliche Anhängerschaft zu unterhalten und ihnen auch dann und wann ein Lachen zu entlocken. Dass es Dir selbst auch Freude bereitet, sei natürlich als Bonus anzusehen und dir durchaus zu gönnen, auch wenn der soziale Gedanke darunter etwas leidet, aber als Wohltäter für die Allgemeinheit hast du dich ja selbst noch nie gesehen.
Tadeln möchte ich dich in erster Linie für deine Inkonsequenz und Faulheit, wie kann man Menschen, die du in Deinem Blog "Deine Lieben" nennst, denn nur so quälen? Du hast sie in einen seelische Abhängigkeit manövriert, sie haben sich nach Deinen Worten verzehrt und du hast sie ausgerechnet in der besinnlichsten Zeit des Jahres, über die Weihnachtsfeiertage, im Stich gelassen. Da muss ich dir nächstes Jahr im Advent wohl einen besonders bösen Krampus schicken, so sympathisch du mir auch bist. Und verschone mich mit Beteuerungen, du hättest eine kreative Auszeit, eine Phase des Aufladens deiner literarischen Batterien gebraucht.
Ich habe Dich über die Weihnachten beobachtet, lieber Grünling, als du mit Pauken und Trompeten in deine geliebte Heimat zurück gekehrt bist, als Selbstdarsteller deines selbsterzeugten Images. Hast dich feiern und verwöhnen lassen, bist um die Häuser gezogen als ob es kein Morgen gäbe, hast deine liebenden Eltern wieder mal mit Nackenschmerzen aufgrund von chronischem unverständlichem Kopfschütteln infiziert. Dass du auch Deines Vaters geliebtes Großstadt-Geländevehikel einer ungewollten Kaltverformung zugeführt hast, ist ja inzwischen ebenso compulsory wie meine goldene Mähne.
Für mich persönlich erstaunlich ist jedoch, wie viele Freunde und Jünger du um dich zu scharen vermagst, alle lauschen Deinen Geschichten, die du kunstvoll ausschmückst, auch stehst du ihnen mit Rat und Tat zur Seite, versuchst sie wie sich durch das Klima schmelzende und auseinander driftende Eisschollen zusammenzuhalten, auch wenn du diese Entwicklung weder aufhalten noch bremsen kannst. Ebenso möchte ich Deine brave Arbeitsleistung für deinen geliebten Sklaventreiber und Vater hervorheben, du weißt schließlich wie viel du ihm und Deiner Mutter zu verdanken hast, dafür darfst du auch ein bisschen tschentschen (sich beschweren (für die Leser aus deutschen Gefilden)), tust's doch gar so gern.
Wirklich schön und lustig mitanzusehen waren Eure Feierlichkeiten zu Silvester, würde man jene Zeit die miteinander gelacht habt aufaddieren, es würde euch wohl ein ganzes Jahr voll Sonnenschein bescheren, auch wenn es momentan in England so überhaupt nicht danach aussieht. Gott sei Dank vermochte ich mich unauffällig unter euer buntes Treiben zu mischen und konnte all jenen herrlich sinnlosen Konversationen lauschen, die ihr inzwischen beinahe an den Rand der Perfektion entwickelt habt. Ein bisschen habe ich Deine Ungewissheit gespürt, deine Angst, dass du 2008 gar das Studium abschließen könntest und auf den unbarmherzigen Arbeitsmarkt geschmissen wirst, noch immer nicht wissend, wohin genau du tendierst. Du solltest Dir und der Welt mehr Zeit geben, lieber Grünling, teste dich selbst, mittelloser Künstler mit Bauernhof kannst du immer noch werden, ich weiß ja, wie sehr du solche romantischen und kontroversen Bilder in deiner Phantasie liebst, und ich denke auch, dass du etwas mehr deiner kreativen Energie zu Papier bringen solltest anstatt sie in belanglosen Konversationen zu vergeuden.
Als du schließlich deine Rückkehr nach England in Angriff genommen hast, verspürte ich so etwas wie Mitleid mit dem scheidenden Grünling. Deine Melancholie, die Dich erfasste, als dir bewusst wurde, dass du dein Elternhaus, die Stätte Deiner Kindheit, nie wieder betreten wirst dürfen, hat dich wie einen Keulenschlag getroffen und ich bin mir sicher, diese Keule trifft dich auch jetzt wieder mitten ins Herz, wenn du meine Zeilen liest.
Oft habe ich Dich und Deine Familie in den letzten Jahren besucht, und mich hat die Wärme und Gemütlichkeit, die dieser Ort ausstrahlte, immer bewegt. Eine so herzliche und familiäre Atmosphäre wird man wohl nur selten auf der Welt finden, und diese Herzlichkeit wird wohl der kühlen Moderne im Penthouse Deiner Eltern weichen müssen. Was bleibt, sind Deine Erinnerungen, lieber Grünling, vom Spielen in der Sandkiste, das Graben im Garten (es ist mir bis heute ein Rätsel wie dir deine Mutter Unkrautjäten als Dinosaurierforschung verkaufen konnte), der Moment als du beinahe alles in Brand gesetzt hättest, das heimliche nächtliche Heimkommen über das Dach, all das wird sich auch so lange nicht aus deinem Kopf und deiner Seele verbannen lassen, bis du zu Staub zerfällst.
Ebenso wird es wohl um jene Erinnerungen bestellt sein, die du seit 3 Monaten in deinem Blog niederschreibst, deine Abenteuer, die du, Mr. Green auf der eigentümlichen Insel bei den Briten erlebst. In gewisser Weise hast du auch dort bereits ein Zuhause gefunden, selbst wenn es nur von äußerst limitierter Dauer ist. Doch ich bin mir sicher, du weißt deine Zeit zu genießen und effektiv zu nutzen, das ERASMUS-Volk war ja sich auch im neuen Jahr nicht zu schade in Heerscharen zu eurer Welcome-Party zu strömen, und das etwas befremdliche Gefühl des Wiedersehens wich nur allzu schnell dem Gefühl von Vertrautheit, so vertraut man sich eben nur sein kann nach drei Monaten. Die Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehung in einem zeitlich und räumlich begrenzten Raum, kurz ERASMUS, ist selbst für mich als himmlische Macht von großer Faszination. Wie schnell Barrieren der Kulturen, Religionen und Sprachen niedergerissen werden und sich hunderte Leute zu einer Gruppenreise aus der Realität in die Welt des Neuen und Unerforschten vereinen können ist ebenso begeisternd wie beängstigend. Verwundert habe ich auch jenen ebenso inoffiziellen wie sinnbefreiten Weltrekordversuch für die maximale Besatzung eines Badezimmers beobachtet, solltest du oder deine Komplizen in näherer Zukunft mit einer etwas eng geschnittenen weißen Jacke erwachen, so sei bitte nicht allzu schockiert. Dass du dieses Spektakel mit Wort und Bild zu dokumentieren vermagst, hat allerdings mein Lob und meinen Respekt verdient.
Schlussendlich, lieber Grünling, hab ich nun doch ein wenig mehr Balsam als beabsichtigt auf Deine Seele gestreut, dass mein gehörnter Mitarbeiter trotzdem mit seinen Hufen scharrend im Advent vor Deiner Tür warten wird, sei gewiss, ausser aus dir wird doch noch ein braver Junge. Leider bleibt zu befürchten, dass das Brave dir wie immer zu banal, zu öde sein wird und das Teufelchen auf deiner Schulter, dass du gerne einen Affen nennst, doch des öfteren die Oberhand behalten wird. What shall's, würden wohl die Briten sagen.
Yours sincerely, das Christkind.
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